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Titel
Bernini. Der Schöpfer des barocken Rom


Autor(en)
Karsten, Arne
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorothea Klein, Kunstgeschichtliches Seminar, HU Berlin

„Eine schlichte Marmorplatte mit dem Familienwappen bedeckt das Grab des bedeutendsten Künstlers, den Rom im 17. Jahrhundert hervorbrachte. Der heutige Besucher hat Mühe, sie zu finden.“ (S. 229) Mit diesen melancholischen Worten schließt Arne Karstens jüngst erschienene Bernini-Biografie.

Die Unauffälligkeit des Bernini-Grabes steht dabei in deutlichem Kontrast zu der Memorial- und Prestigefunktion seiner Werke, mit denen sich Berninis Auftraggeber sowohl zu Lebzeiten als auch nach dem Ableben ihrer Fama versichern wollten. Die unvergleichliche Produktivität, mit der Bernini das Antlitz der Tiberstadt im 17. Jahrhundert prägte, vermag jedoch die geradezu undankbar erscheinende Gestaltung des Künstlergrabes wettzumachen. Denn bis heute präsentiert Rom die gemeißelten und gebauten Ergebnisse seiner Schöpferkraft in einer Vielfalt, dass ein Rombesucher sich geradezu die Augen zubinden müsste, um sich dieser fast omnipräsenten Form der Memoria entziehen zu können.

Eine Memoria, die sowohl ihrem künstlerischen Schöpfer huldigt, wie auch jene politischen Protagonisten/innen aufleben lässt, die seinerzeit hinter den Palastfassaden die entscheidenden Fäden zogen. Genau darum geht es in Arne Karstens Studie – die zeitgenössischen Bedingungen und ineinander greifenden Verflechtungen zu ergründen, die Berninis Schaffen erst ermöglichten und entscheidend beeinflussten.

Mit der Lebensbeschreibung des römischen „Allroundgenies“ Gianlorenzo Bernini – dem „Schöpfer des barocken Rom“, wie der Untertitel des Buches ihn achtungsvoll bezeichnet – erscheint über 300 Jahre nach Berninis Tod die erste deutschsprachige Biografie des Künstlers. Statt dabei allein auf die Person Berninis zu fokussieren, rekonstruiert Karsten ein lebhaft-kritisches Bild des römischen Barock, das wesentlich geprägt war von politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Konstellationen, Netzwerken und Intrigen, welche die Adels- und Herrscherfamilien um den Thron des Papstes sponnen.

Dabei geht das Buch chronologisch von den Anfängen der künstlerischen Tätigkeit Berninis bis zu seinem Tod im Jahr 1680 vor, stets jedoch darauf bedacht, dem Leser gelegentliche Vorschauen zu gestatten oder Rückblicke auf Geschehenes zuzulassen. Seinem historischen Ansatz folgend, richtet der Autor die Folge der Hauptkapitel dabei nicht nach künstlerischen Marksteinen aus, wie man zunächst von einer Künstlerbiografie erwarten würde, sondern nach den Pontifikaten, unter denen Bernini tätig war. Dabei verzichtet Karsten ausdrücklich auf „Vollständigkeit im Sinne einer Werkmonografie“ (S. 16) des Künstlers und zieht stattdessen Bildwerke und Bauvorhaben punktuell und gezielt zur Argumentation heran.

Leben und Werk Berninis zu schildern, scheint eine dankbare Aufgabe zu sein, sind doch die überlieferten Quellen zu diesem Künstler ebenso zahlreich wie ausführlich. Die frühesten und bedeutendsten, da quasi aus erster Hand stammenden Berichte, überlieferten Berninis jüngster Sohn Domenico Bernini und der Florentiner Gelehrte Filippo Baldinucci. Zudem berichtet ein bereits zu Lebzeiten Berninis verfasstes Tagebuch des französischen Adligen Paul Fréart Sieur de Chantelou, der als persönlicher Begleiter Berninis während seines Parisaufenthaltes 1665 fungierte, mit protokollarischer Genauigkeit über Allüren, Reflexionen und jegliche Art von geschäftlichen wie privaten Aktivitäten des Italieners während seines Aufenthaltes in Frankreich und gewährt damit einen Blick auf den „alltäglichen Bernini“ (S. 14). Aus diesem Fundus schöpft Karsten, zieht zudem jedoch eine Fülle weiterer Quellen heran, die sich in seinem Buch zum Teil erstmals publiziert finden.

Künstlerische Begabung, unermüdlicher Eifer und väterliche Förderung ließen Bernini bereits in jungen Jahren zum Günstling der römischen Kunstmäzene avancieren. Unter dem Pontifikat Paul V. Borghese (1605-1621) entstanden die ersten Skulpturen – unter anderem für Maffeo Barberini, jenem Kardinal, der wenige Jahre später als Papst Urban VIII. zum bedeutendsten Förderer Berninis werden sollte. Als einer der wichtigsten Mäzene der frühen Jahre erscheint Kardinal Scipione Borghese, der Neffe Paul V., der mehrere Skulpturen bei Bernini in Auftrag gab. Eindrucksvoll beschreibt Karsten die Bedeutungsvielfalt und politische Brisanz dieser Werke. Sie stellten nicht nur Teil einer nachhaltigen Imagebildung des Nepoten als geistvollem Kunstmäzen dar, sondern verschmolzen in ihrer Komplexität christliche Theologie, antike Mythologie und nicht zuletzt aktuelle politisch-gesellschaftliche Komponenten in meisterhaft gestalteter Form.

Als im Jahr 1623 Kardinal Maffeo Barberini zum Papst Urban VIII. gewählt wurde und mit 21 Jahren der längste Pontifikat des 17. Jahrhunderts begann, eröffneten sich Bernini Möglichkeiten „wie sie kaum ein Künstler in früherer oder späterer Zeit vorfand“ (S. 51). Durch die exorbitanten Investitionen in Künste und Wissenschaft vermag der Pontifikat Urbans VIII. mit besonderer Deutlichkeit die Doppelrolle des Papsttums in jener Zeit zu demonstrieren. Fungierte der Papst einerseits als Nachfolger Petri als Haupt der katholischen Kirche, hatte er andererseits als Souverän des Kirchenstaates zu handeln – und diese Rolle gewann zunehmend und öffentlich sichtbar an Bedeutung. Anschaulich führt Karsten aus, wie sich nach jedem Tod eines Papstes die verworrenen und vielfältigen Getriebe von Netzwerken in Gang setzten, um Familienangehörige und Verbündete zu protegieren, Konkurrenten hingegen geschickt auszuschalten. War ein neuer Papst auf den Thron erhoben, galt es, die Protegés in Schlüsselämter zu befördern und die begrenzte Zeit der Macht mit wirkungsvollen und nachhaltigen Zeichen auszustatten, bevor sich das Blatt wieder wendete.

Von diesem Anliegen profitierten Gelehrte, Architekten und Künstler und so auch Gianlorenzo Bernini, der unter dem Pontifikat Urban VIII. zum „Michelangelo des Jahrhunderts“ aufsteigen sollte. Als langjähriger „Bekannter“ Maffeo Barberinis sprach derselbe ihm als Papst eine Fülle von prestigeprächtigen Aufträgen zu. Bernini schien dem päpstlichen Wunsch nach einem „neuen“ Künstlergenie in höchstem Maße gerecht werden zu wollen und war bestrebt – nicht zuletzt auch auf Grund der enormen Konkurrenz unter den für den Papsthof arbeitenden Künstlern –, seine Produktivität ins nachgerade Unermessliche zu steigern. Neben Betonung seiner künstlerischen Brillanz, weiß die Biografie dabei immer wieder von dem gesellschaftlichen und diplomatischen Geschick des Künstlers gegenüber seinen Auftraggebern und Gönnern zu berichten – und seiner gleichzeitigen Arroganz gegenüber Mitarbeitern und Konkurrenten, die er mit Geringschätzung, Hinterlist oder Ignoranz zu behandeln wusste.

Gegen Ende seines Lebens sah sich Rom von Berninis Hand geprägt, was allein anhand der Bau- und Bildwerke, die die Strecke des von Norden in die Stadt führenden Pilgerweges säumen, beispielhaft skizziert werden kann (S. 216f.). Mit den von Teilen der Kurie seit der Mitte des 17. Jahrhunderts immer wieder geforderten Reformen, welche die exzessiven Geldausgaben drosseln und die päpstlichen Kassen sanieren sollten, fand nahezu zeitgleich zu Berninis Ableben auch die exzessive Kunstpatronage dieses Jahrhunderts ihr Ende.

Der lockere und scheinbar mühelose Schreibstil, der den Text durchgehend kennzeichnet, formuliert indirekt den Anspruch, ein großes Fach-, aber auch Laienpublikum als Leserschaft zu gewinnen, was die Lektüre zu einem ebenso bildenden wie unterhaltsamen Vergnügen werden lässt. Gelegentlich schlägt die Sprache dabei freilich in einen allzu umgangssprachlichen Modus um, wenn beispielsweise die zum Katholizismus konvertierte Königin Christina von Schweden als „personifizierte Extrawurst im Rom dieser Jahre“ bezeichnet wird (S. 168). Auch vereinfacht der unbeschwerte Stil in einigen Textpassagen die Komplexität bestimmter Sachverhalte und Konstellationen zu stark. Einige Episoden aus dem Lebens Berninis, wie die Affäre um die Geliebte Costanza Bonarelli, die den Bruder Berninis nahezu das Leben gekostet hätte, bieten ebenfalls kaum grundlegend neue Erkenntnisse für die Wissenschaftswelt, sondern dienen mehr dem unterhaltenden Kennenlernen des „privaten“ Bernini.

Die wesentliche Qualität des Buches liegt indes in der kritischen Kontextualisierung der Werke Berninis in den zeitgenössischen Entstehungshorizont und der Analyse der vielfältigen Bedeutungsebenen, die zahlreiche Arbeiten auszeichnen. Beides vermag Karsten eindrücklich und überzeugend darzustellen, wozu der fesselnde Schreibstil des Autors sein Übriges beiträgt. Dass dabei kunsttheoretische Ausführungen gelegentlich zu kurz kommen, kann dem Autor aufgrund seines deutlich formulierten, sozial-historischen Interesses kaum zum Vorwurf gemacht werden, ist aber dennoch zuweilen bedauerlich.

Insgesamt stellt die Publikation ein fundiert recherchiertes und leserfreundlich verfasstes Werk dar, das jene Aspekte einer Künstlerpersönlichkeit und einer Epoche rekonstruiert, deren ineinander greifenden Verquickungen das hervorgebracht haben, was als „römischer Barock“ bis heute gefeiert wird.

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